DIE LINKE hat in den vergangenen Monaten einen rasanten Mitgliederzuwachs erfahren. Insbesondere wollen sich immer mehr junge Menschen politisch engagieren. Doch längst nicht überall bestehen attraktive Strukturen, die zum Mitmachen einladen. Wie gelingt es uns neue Mitglieder aktiv in die Partei einzubinden und aktivistische Basisstrukturen zu entwickeln, um dem neoliberalen Zeitgeist und dem voranschreitenden Rechtsruck eine bewegungsorientierte, sozialistische Massenpartei entgegenzusetzen? Am Beispiel des Kreisverbands Essen wird deutlich: Wir brauchen ein radikales Umdenken, wie Parteiarbeit funktioniert.

DIE LINKE wächst und sie wird jünger. Allein im vergangenen Jahr sind fast 8.000 Menschen in die Partei eingetreten, davon waren über 65% jünger als 35 Jahre. Auch bei uns in Essen konnten wir diese Entwicklung feststellen, insbesondere während der beiden Wahlkämpfe und nach den US-Wahlen. So hatten wir gegen Ende des Jahres 2016 erstmals die 300er Marke geknackt. Immer mehr junge Menschen traten der Partei bei. Der Anteil der Mitglieder unter 35 Jahren stieg  im Laufe der Jahre 2016 und 2017 von gut 30 Prozent auf einen Anteil von circa 45 Prozent. Zum  Jahresende 2017 ist die Anzahl der Mitglieder auf  374 gestiegen. Damit ist die Essener LINKE so groß wie nie zuvor.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sehen wir die Rolle der Linken als eine aktivistische, bewegungsorientierte und sozialistische Mitmachpartei, die ihren Fokus auf die Verankerung in Gewerkschaften, Bündnissen und sozialen Bewegungen legt, statt sich durch Regierungsbeteiligung auf Parlamentsarbeit zu fixieren und dem Sitzungssozialismus zu frönen. Obwohl eine Partei niemals soziale Kämpfe „von unten“ ersetzen kann, kann sie Strukturen bieten, um außerparlamentarischen Widerstand zu organisieren. So soll die Partei ihren Schwerpunkt auf Kämpfe in Stadtteilen, Betrieben, Schulen und Universitäten legen. DIE LINKE muss Katalysator sozialer Bewegungen werden und gezielt in gesellschaftliche Auseinandersetzungen intervenieren. Für die Zukunft revolutionärer Politik ist eine Verankerung der Partei vor Ort und eine vorhandene aktivistische Basis essentiell.

Aktivismus in den Fokus

Aktion gegen Atomkraft

Atomkraftwerk in Tihange? Abschalten! / © DIE LINKE. Essen

Seit Anfang 2017 gibt es in Essen das wöchentliche Aktiventreffen, bei dem sich Parteimitglieder und Menschen, die mit der LINKEN sympathisieren treffen, um gemeinsam aktiv zu werden und zivilgesellschaftlichen Widerstand zu organisieren. Zwar lief es zu Beginn eher schleppend, jedoch hat sich die Zahl der Aktiven inzwischen bei ca. 30 eingependelt und damit verdoppelt. Über Monate haben wir verschiedene Konzepte ausprobiert, reflektiert und wieder geändert und haben unsere Vorgehensweise an die Gruppengröße und die Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst. Schlussendlich haben wir ein Rezept gefunden, das funktioniert: In der Regel starten wir mit einem kurzen Input aus den Reihen der Aktiven und anschließender Diskussion. Gerade unerfahrene Aktive bekommen regelmäßig die Chance im kleinen Rahmen Aufgaben wie Tagesleitung, Protokollieren und Referieren zu üben. Danach folgen kurze Berichte aus aktuellen Projekten und Aktionen, dem Vorstand, Arbeitsgruppen und dem Rat, damit alle auf dem gleichen Stand sind. Nach einer Feedbackrunde beginnt die Arbeitsgruppenphase. Welche Arbeitsgruppen es gibt, bestimmt das Plenum. Um bürokratische Hürden gering zu halten, gehen die Arbeit von Aktiven und Vorstand Hand in Hand. So ist es in Essen die Regel, dass Vorstandsmitglieder an Aktiventreffen teilnehmen und Entscheidungen des Treffens unterstützen.

Vor allem für neue Mitglieder bietet das Aktiventreffen eine Anlaufstelle, um unkompliziert, unbürokratisch und niedrigschwellig in der Partei aktiv werden zu können. Es hat sich damit zu einem Einstieg in das Parteileben und zum Kern der politischen Aktivitäten der LINKEN in Essen entwickelt. Die Straße gehört uns, egal wofür oder wogegen wir protestieren. Alle können ihre Interessen einbringen und Ideen umsetzen, solange sie das Ganze selbst in die Hand nehmen, denn Sätze wie „Man könnte…“ und „Ihr solltet…“ führen zu nichts als Frustration. Unser Motto: „Action! Action!“. Inzwischen sind wir an einem Punkt gekommen, an dem sich langsam auch neue Aktive und junge Parteimitglieder trauen, eigenverantwortlich Aufgaben zu übernehmen.

Kampagnenvielfalt – Für alle was dabei

Aktion beim CSD 2017

Die Linke unter dem Motto „Sailor Moon“ beim CSD 2017 / © DIE LINKE. Essen

So wurden im vergangenen Jahr die beiden Wahlkämpfe maßgeblich aus dem Aktiventreffen heraus organisiert und es entstanden kreative Ideen, wie eine Reichendemonstration („schwarzer Block“), Anti-Atomkraft Proteste, ein Kleidertausch, eine „Störaktion“ gegen die Bundeswehr auf dem Essener Stadtfest „Essen Original“ und vieles mehr. Außerdem haben wir unzählige Infostände, Canvassingtouren und Verteilaktionen dort organisiert. Daneben schufen wir Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der Gegenproteste zum Landesparteitag der AfD in Essen und deren Bundesparteitagen in Hannover und Köln. So waren wir beispielsweise mit über 20 Aktiven und jeder Menge Material im Gepäck in Hannover vor Ort. »Egal ob Streiks, Demos oder gesellschaftliche Bewegungen, wir mischen überall mit«, berichtet Archäologie-Student Jannis. Die 15-jährige Schülerin Kim ergänzt: »Besonders in den beiden Wahlkämpfen konnte man sehen, wie viel wir als Gruppe auf die Beine gestellt haben. Die Mischung aus Aktivismus und Bildungsangeboten finde ich toll«.

Für 2018 und die nächsten Jahre wird sich die Partei auf drei Felder fokussieren. Antirassismus, Arbeitskämpfe und den exemplarischen Aufbau einer Stadteilgruppe durch eine „Recht auf Stadt“ Kampagne in einem der ärmeren Stadtteile, in dem wir uns als Partei verankern wollen. Der Vorstand soll allerdings nur noch die politischen Leitlinien vorgeben, sodass die Mitglieder der Partei nicht von oben herab belehrt werden, sondern selbst bemerken, dass sie von nun an die Möglichkeit haben die Partei mitzugestalten. Das bedeutet, dass die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung dieser Kampagnen im Aktiventreffen stattfinden wird.

Theorie kennen, Praxis gestalten

Jeder kennt den Spruch: Keine Theorie ohne Praxis, keine Praxis ohne Theorie. Dieser Prämisse folgen wir auch in Essen. Wir wollen unsere Aktionen, Kampagnen und Initiativen mit theoretischer Arbeit untermauern und dadurch verbessern. Wir legen  den Fokus auf kontinuierlichen Ausbau unseres theoretischen Wissens: So können Neumitglieder und langjährige Aktive gleichermaßen ihre politische Bildung erweitern, um dadurch Wissenshierarchien und Hemmschwellen abzubauen, Debatten zu demokratisieren und inhaltlich anspruchsvoller zu gestalten.

Auch unsere Bildungsangebote entstehen zu großen Teilen in Arbeitsgruppen des Aktiventreffens. So lernen nicht nur neue Aktive dazu, sondern einzelne haben die Möglichkeit zu unterschiedlichen Themen Experten zu werden. Unter dem Label „LINKE Abendschule“ vermitteln wir regelmäßig in mehrstündigen Seminaren grundlegende Theorien und Themen, um eine Basis für die politische Arbeit zu schaffen. Zudem findet im Rahmen des Aktiventreffens einmal im Monat ein Themenabend statt, an dem wir uns zwei Stunden lang ausführlich mit einer aktuellen Problematik beschäftigten. Die Krönung unseres Bildungsangebotes sind unsere Neumitgliederseminare und Bildungswochenenden. Zwei bis drei Mal im Jahr laden wir Mitglieder und Interessierte dazu ein, sich ein ganzes Wochenende lang mit linker Theorie zu beschäftigen. Zum Beispiel findet am 24. und 25. März diesen Jahres die Feminismustage in Essen statt. Auch hier sollen die Teilnehmenden nicht nur passiv zuhören, sondern sich aktiv an der inhaltlichen Gestaltung und Organisation der Veranstaltungen beteiligen.

Gemeinschaft stärken – auch Spaß muss sein!

Neben den zahlreichen inhaltlichen Angeboten schaffen wir in Essen auch ein immer größeres Freizeit- und Spaßangebot. Zurzeit organisieren die Aktiven in jedem Quartal mindestens eine größere Veranstaltung, die primär darauf abzielt die Gemeinschaft zu stärken und sich besser kennen zu lernen. Hierzu zählen etwa unser politischer Aschermittwoch, ein Frühlingsfest, das linke Sommerfest und unsere „Rote Socken“-Weihnachtsparty. Grillen, trinken, Karaoke, Serienmarathons und lange Abende enden nicht selten in politischen Diskussionen. Wir legen Wert auf eine familiäre und wertschätzende Arbeitsatmosphäre, in der jede Idee Gehör findet, solidarisch um Inhalte gestritten wird und sich jeder als Teil eines großen Ganzen begreift. Auch fungiert die Gemeinschaft als Ladestation für den aktivistischen Motor, an der neue Energie und Kraft getankt werden kann. Denn Politik ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Die Verbindung von politischen und privaten Aktivitäten führt zu einem Aufbrechen der Anonymität und der oberflächlichen Zusammenarbeit. Die Gemeinschaftsaktivitäten tragen zum besseren Kennenlernen und gegenseitigem Verständnis bei. Das führt zu einer zielgerichteten und solidarischen Arbeitsweise, bei der man sich gegenseitig stärkt und gleichermaßen bei Rückschlägen auffängt. Auch Sadi, 72-jähriger Rentner und Neumitglied empfindet das so: »Ich bin einfach glücklich hier dabei zu sein. Wenn ich sehe, wie in Essen zusammengearbeitet wird, weiß ich, wie sich Sozialismus anfühlen könnte.«

Wir in Essen betrachten die Menschen in der Partei als Grundpfeiler, auf denen politischer Aktivismus aufbaut. So tragen das Teilen von Interessen, Können und Wissen zu unserer Weiterentwicklung bei und ermöglichen es uns, die gemeinsame Idee nach vorne zu bringen. Wenn diese Entwicklung anhält wird die Partei zu einem lebendigen Ort der demokratischen Debatte, die sich nicht sektiererisch nach innen verschließt, sondern durch die Offenheit der Strukturen dazu einlädt mitzumachen. Sei es beim Aktiventreffen, den Kreisparteitagen, einem der zahlreichen Arbeitskreise oder den entstehenden Stadtteilgruppen. Wenn diese Entwicklung anhält, haben wir in einigen Jahren nicht nur ein Aktiventreffen, sondern viele, die sich thematisch oder geographisch organisieren. Wir, die wir länger dabei sind,  arbeiten stetig daran uns selbst überflüssig zu machen, sodass der Essener Kreisverband auch ohne „Vorturner“ handlungsfähig ist, aus einer starken Gruppe heraus, als echte Mitglieder- und Mitmachpartei.

Share This

Share This

Share this post with your friends!