Angesichts der besonderen Situation aufgrund der Corona-Pandemie entsteht derzeit eine Debatte um den Zeitpunkt der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 13. September 2020. Manche Personen und Gremien in unserer Partei (aber auch in anderen) haben sich bereits für eine Verschiebung ausgesprochen. Der Kreisverband DIE LINKE Essen hat sich bisher nicht positioniert und lädt mit diesem Papier ein, sich an der Debatte zu beteiligen.

Wichtige Gründe für die Beibehaltung des gegebenen Termins:

  • In einer parlamentarischen Demokratie sind regelmäßige Wahlen auf allen Ebenen essentiell. Ohne Wahlen in einem festgelegten Turnus geht der parlamentarischen Demokratie ihr Kern verloren.
  • Bereits ohne eine Verschiebung der Kommunalwahl nach hinten ist die Legislaturperiode aufgrund der Anpassung (OB-Wahlen, Kommunalwahlen) besonders lang und damit gewissermaßen „überfällig“.
  • Formal dürfte die Kommunalwahl – zumindest für die Parteien, die schon aktuell in den Räten und Vertretungen Mandate haben – einigermaßen problemlos abzuwickeln sein. Sehr wahrscheinlich ist für alle notwendigen Vorbereitungen (also vor allem dem Aufstellen der Listen) genügend Zeit. Auch wenn dies im Einzelnen zu beträchtlichen organisatorischen Schwierigkeiten führen dürfte, ist davon auszugehen, dass zumindest formal den Regularien entsprochen werden kann.

Es gibt aber auch einige Gründe, die für eine Verschiebung des Wahltermins nach hinten sprechen:

  • Eine parlamentarische Demokratie funktioniert, wenn alle Menschen mit ihren Meinungen und politischen Auffassungen die Möglichkeit bekommen, sich auf Augenhöhe zu begegnen und über die formalen Bedingungen hinaus vor allem für ihre Standpunkte werben können. Dies ist angesichts der gegebenen Situation faktisch nicht möglich. 
  • In einer krisenhaften Situation wie der vorliegenden tendieren Menschen – aus nachvollziehbaren Gründen – dazu, „auf Nummer sicher“ zu gehen. Das heißt, dass sie vor allem eine starke Exekutive und klare Ansagen wollen. Dies führt natürlich zu einer außerordentlich starken Fokussierung auf die Regierenden und ihre Parteien. Dieser Trend lässt sich sehr gut an den aktuellen Umfrageergebnissen ablesen. Selbstverständlich ist das in einer Demokratie weder unlauter noch gar verboten, dennoch müssen sich die Regierenden die Frage gefallen lassen, ob und wie es mit ihrem demokratischen Selbstverständnis vereinbar ist, eine Wahl unter der Bedingung ungleicher Voraussetzungen durchzuführen. Niemand hat das Corona-Virus verschuldet, niemand hat die Pandemie verursacht, also sollte auch niemand – gewissermaßen außerdemokratisch – davon profitieren.
  • Aber selbst die Frage der formalen Voraussetzungen, die oben als unproblematisch dargestellt wurde, könnte sich dann zu einem Problem auswachsen, wenn die sehr genauen Regeln, denen die Parteien und Einzelbewerber*innen folgen müssen, damit die Wahlen nicht anfechtbar sind, doch nicht eingehalten werden können. Zum Beispiel dürfen in einer Aufstellungsversammlung die Regeln und Verfahren nicht geändert werden. Zum Beispiel müssen alle Parteien, die in den Kommunalparlamenten momentan nicht über ein Mandat verfügen, erst eine erkleckliche Zahl von Unterschriften sammeln, um ihre Verankerung in der Bevölkerung aufzuzeigen. Ohne diese Unterschriften dürfen sie nicht zur Wahl antreten. Unter gegebenen Bedingungen könnte gerade diese Vorgabe zu einer starken Konzentration auf die in den Kommunalparlamenten bereits vertretenen Parteien führen. Aufgrund von jüngeren Gerichtsurteilen sind in Essen z.B. diese Parteien, die heute nicht über Mandate verfügen, gezwungen, erneut Unterschriften innerhalb der gesetzten Frist zu beschaffen. Dies ist unter „Kontaktbeschränkungsbedingungen“ nahezu unmöglich. Dies würde dem Ausschluss dieser Parteien gleichkommen und damit dem Wesen der parlamentarischen Demokratie zuwider laufen. Mindestens die Befreiung von der Pflicht, diese Unterschriften beizubringen, müsste erfolgen, wenn am Termin festgehalten werden soll.
  • Eine Wahl dient dem Zweck, der Bevölkerung unterschiedliche Ideen anzubieten, wie diese Gesellschaft künftig organisiert werden sollte. In ihren Wahlprogrammen schreiben die Parteien ihre Positionen, Vorstellungen und Strategien auf und stellen sie allen Interessierten zur Verfügung. Tatsächlich aber lebt diese Debatte vom direkten Gespräch. Erst hier entsteht überhaupt erst die Möglichkeit / der Raum, über unterschiedliche Konzepte in den konstruktiven, den demokratischen Dialog zu treten. Es ist allzu offensichtlich, dass dies auf absehbare Zeit nicht möglich ist.
  • Die sich seit einigen Jahren etablierende Debatte über verschiedene „soziale Medien“ entbehrt der direkten Konfrontation und vermag das direkte Gespräch nicht zu ersetzen. Selbst wenn dies irgendwann doch der Fall sein sollte, ist es dies momentan sicher noch nicht. Im Netz diskutieren, die hier diskutieren wollen, es werden jene erreicht, die erreichbar sind und erreichbar sein wollen. Nicht erreicht werden die, die nicht über die sozialen Medien kommunizieren. Nicht erreicht werden die, die als politikfern aktiv aufgesucht werden müssen, um das Gespräch zu führen. 

Vor dem Hintergrund des Gesagten fordern wir auf, in einen offenen und fairen Dialog einzutreten, ob die Kommunalwahlen am 13. September 2020 dem Geist der parlamentarischen Demokratie genügen.

Share This

Share This

Share this post with your friends!