Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Essen wächst! Und alle freuen sich. Doch halt – wächst Essen wirklich? Und wenn es momentan noch wächst, wie lange wird dieses Wachstum dauern? Rechtfertigt es den weiteren Bau von Häusern auf der grünen Wiese in großer Zahl, also das Aufgeben letzter grüner Flächen für angeblich so dringend benötigten Wohnungsbau?

Wer profitiert vom behaupteten und doch angeblich noch nicht ausreichenden Bauboom? Sind es die Menschen, die tatsächlich so dringend auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind?

Wer wird wohl in all den neuen Wohnungen leben, die in Rüttenscheid, Bredeney und Kettwig gebaut werden? Wer wird sich Wohnungen im neuen Quartier 51 leisten können?

Sind die vielen Menschen in Essen, die mit geringsten Einkommen zurecht kommen müssen, irgendwie Nutznießer dieser Baupolitik Profitiert wenigstens die Stadt über wachsende Attraktivität? Können neue Menschen in die Stadt gelockt werden, die Geld mitbringen und so die lokale Wirtschaft stärken?

Das sind viele Fragen und die meisten müssen negativ beantwortet werden: Vom Bauboom profitiert die Mehrzahl der Essener Bewohnerinnen und Bewohner nicht, die Stadt verliert attraktive Naherholungsgebiete und Klimazonen. Überall wo gebaut wird, wird bestenfalls zufällig, keineswegs gewollt oder von der Stadt eingefordert städtebauliche Qualität hergestellt. Wir sind also mit den Auswüchsen investorengetriebener Baupolitik konfrontiert, anders ausgedrückt mit kapitalistischem Städtebau. Die Stadt Essen mit ihrer Verwaltung hat schon lange den Anspruch aufgegeben, Qualität einzufordern.

Ja, es gibt Zielkonflikte zwischen den Aufgaben, kostengünstigen Wohnraum zu schaffen, städtebauliche Qualitäten zu bewahren und herzustellen, Mobilität und Klimaziele miteinander zu verknüpfen, unterschiedliche Wohnbedürfnisse und Raumnutzungen zu bedienen. Das ist nicht nur ein Konflikt zwischen gewissermaßen naturwüchsig widerstreitenden Interessen, sondern auch zwischen Zielen, die je für sich berechtigt und wichtig sind. Darauf gilt es in einer Stadt zu achten. Sobald dieses Gefüge aus dem Gleichgewicht gerät, sobald also Einzelziele mit Einzelinteressen sich durchsetzen (wie dies in Essen der Fall ist), wird dies zu einem Problem für die ganze Stadt und ihre Zukunftsfähigkeit.

Als ob das nicht schon problematisch genug wäre, hat Essen sogar noch ein weiteres Problem. Es fehlt nicht nur an bezahlbarem Wohnraum, die verfügbaren Wohnungen sind besonders „preisdynamisch“. Das heißt, gerade in Essen werden die Wohnungen schneller und in stärkerem Maße teurer als anderswo im Ruhrgebiet. Gleichzeitig aber wird Essen in Bezug auf das verfügbare Einkommen nach unten durchgereicht. Obwohl die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Essen auf einem Höchststand ist, geht es nicht mit steigenden, sondern bestenfalls stagnierenden, oft genug sogar sinkenden Einkommen einher – bei gleichzeitig steigenden Preisen auf breiter Front. Immer mehr Menschen müssen sich nämlich mit schlecht bezahlten Teilzeitjobs begnügen. In Essen leben außerdem besonders viele Menschen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Das Geld reicht kaum für eine angemessene Wohnung und ein gutes Leben.

Der Strukturwandel des Ruhrgebiets hat in Verbindung mit der Sozial- und Steuergesetzgebung seit 2000 also zu einem erheblichen Verlust von Kaufkraft geführt. Die bereits einsetzende und absehbar an dramatischer Dynamik gewinnende Altersarmut wird diese Entwicklung massiv verstärken.

Dies alles belegt die besondere Not gerade im Segment der bezahlbaren Wohnungen, an der die aktuellen Bauaktivitäten eben nichts ändern. Die Misere am Essener Wohnungsmarkt wird fortgeschrieben und bleibt ein zentraler Grund für die zunehmende Spaltung zwischen dem abgehängten Norden und dem bürgerlichen Süden. Selbst wenn Essen wächst, hat es doch ein Problem, das mit den bekannten Mitteln der bürgerlichen Politik nicht gelöst werden kann.

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